Privilegien und Intersektionalität

In den Folgen von «We Talk. Schweiz ungefiltert» werden immer wieder Ausdrücke verwendet, die vielleicht schwammig, nicht eindeutig oder nicht für jede*n verständlich sind. Deshalb wollen wir etwas Klarheit schaffen. Weiter unten könnt ihr die Erläuterungen zu den Begriffen «Secondo, Seconda, Second*a» und «struktureller Rassismus» nachlesen. Hier gehen wir auf das Begriffspaar «Privilegien und Intersektionalität» ein.

Privilegien

Menschen mit Privilegien geniessen Vorteile, Vorzüge und Zugänge, ohne dass sie dafür eine besondere Leistung erbringen müssen. Sie haben bestimmte Freiheiten und Möglichkeiten zu handeln, die anderen verwehrt bleiben. Beispiele für Privilegien können ein besonderes Talent oder eine gute Ausbildung sein, die es Menschen erleichtern, sich ein gutes Leben einzurichten. Privilegiert ist auch wer sich mit bestimmten Schwierigkeiten oder Problemen nicht auseinandersetzen muss. Beispielsweise hat der grösste Teil der Menschen, die in der Schweiz leben, das Privileg, sicher leben zu können, ohne die Gefahr um das eigene Leben oder einer schweren Verletzung der psychischen oder physischen Integrität.

Andererseits gibt es auch hier in der Schweiz Menschen, die dieses Privileg der Sicherheit nicht ohne weiteres geniessen können, wie beispielsweise Menschen, die trans- oder homophober Gewalt ausgesetzt sind. Siehe dazu der Beitrag auf Radio SRF Virus zu «Hate Crimes in der Schweiz»: https://www.srf.ch/…/hate-crimes-in-der-schweiz-gewalt….

Frei von Diskriminierung zu sein ist ein grundlegendes Privileg, das einer Minderheit von Menschen vorenthalten bleibt. Entgegen diesem besteht der Alltag von einem Teil der Schweizer Bevölkerung auch darin, rassistisch diskriminiert zu werden, oder als «Fremde» im «eigenen» Land bezeichnet zu werden. In diesem Sinne privilegiert, Rassismus nicht erfahren zu müssen, sind meist Menschen, die dem Stereotyp «schweizerisch, west-europäisch, westlich aussehend, von der Kultur des Christentums geprägt» entsprechen – oder auch als Weisse bezeichnete Personen. Was Weisssein bedeutet, beschreibt die Anthropologin Anne Lavanchy in einem Artikel der Publikation Tangram der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus: https://www.ekr.admin.ch/d575.html.

Weisse mit unterschiedlichen Privilegien und Diskriminierungserfahrungen

Weisse Menschen sind dadurch privilegiert, dass sie selten Rassismuserfahrungen machen. Hingegen hat eine Muslimin mit Kopftuch, die auf offener Strasse auf rassistische und sexistische Weise beschimpft wird, dieses Privileg nicht. Auch eine geflüchtete Person, die in der Schweiz als Mensch zweiter Klasse behandelt wird, und die in ihrem Alltag laufend von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit betroffen ist, hat dieses Privileg nicht. Aber auch wenn weisse Menschen das Privileg teilen, Rassismus nicht erfahren zu müssen, gibt es auch hier Unterschiede. Ein weisser Mann, ca. 45-jährig, schlanke Postur, gut ausgebildet, ohne Beeinträchtigung hat andere Privilegien, als eine Frau mit den gleichen Attributen, die aufgrund ihres Frauseins diskriminiert werden kann. Beide wiederum haben das Privileg nicht erfahren zu müssen, was es heisst, aufgrund des höheren Lebensalters Formen der Altersdiskriminierung – auch Ageism genannt – ausgesetzt zu sein. Hierzu gibt es interessante Informationen vom Verein humanrights.ch unter https://www.humanrights.ch/…/dos…/schweiz-alterspolitik/.

Privilegien sind also immer komplex und kontextuell zu betrachten. Derselbe Mensch kann in einem Bereich privilegiert sein, an anderer Stelle wiederum nicht. Beispielsweise kann eine alleinerziehende Mutter*, die in Armut lebt, oder eine Paraplegiker*in, aufgrund von baulichen Hindernisse massiv in der Mobilität eingeschränkt sein und diskriminiert werden: https://www.inclusion-handicap.ch/…/oev-und-mobilitaet….

Bei der Verteilung von Privilegien oder Diskriminierungen spielen also eine Reihe von Faktoren eine Rolle, die auf komplizierte Weise miteinander interagieren. In diesem Zusammenhang wird auch von Intersektionalität gesprochen.

Intersektionalität als spezifische Erfahrung zwischen Privileg und Diskriminierung

In der ersten Folge von «We Talk. Schweiz ungefiltert» tauchte der Begriff Intersektionalität auf, der «Überkreuzung» bedeutet. Aber was heisst Intersektionalität genau? Am besten lässt sich dies an einem Beispiel erklären.

Ihr könnt Euch eine Kreuzung mit verschiedenen Achsen vorstellen. Ein schwarzer Trans*mann beispielsweise, der*die im Rollstuhl ist, befindet sich bildlich gesprochen auf einer Kreuzung mit den drei Achsen «Schwarz/Behinderung/Trans*sein». Er*sie verfügt nicht über die Privilegien der hindernisfreien Mobilität, Rassismusfreiheit, oder der Diskriminierungsfreiheit aufgrund des Transseins. Die Attribute, die eine Person auszeichnen, haben auch einen gegenseitigen Effekt, der die Diskriminierungserfahrungen in sich verändert oder gar verstärken kann. Eine Person erfährt je nach konkreter Situation verschiedene Formen der Alltagsdiskriminierung welche drei Aspekte der «Identität» gleichzeitig und auf spezifische Weisse betreffen. Beispielsweise wenn die Person sowohl auf transphobe, rassistische und behindertenfeindliche Weise beschimpft wird.

Interessante Eindrücke zu Intersektionalität und Privilegien findet ihr im Comedy- und Satire-Programm von Edwin Ramirez: https://www.rollingeddie.com/media und unter http://portal-intersektionalitaet.de/startseite/.